„Der Herr like euch und flausche euch“ – (Wie) geht Verkündigung in den Sozialen Medien?

Das Folgende ist eine Wiederveröffentlichung eines Beitrags, den ich für die Oktober-Ausgabe 2013 des inzwischen nicht mehr existenten Predigtpreis.de-Newsletters geschrieben habe (nur noch über archive.org abrufbar). Zugleich stellt es eine erste Wiederbelebung dieses Blogs dar.

Man kann sich viele Gründe herbeiziehen, die sozialen Medien zu meiden. Daten sind nicht sicher. Ständig wird Privatsphäre verletzt. Cyber-Kriminelle wollen an Bankverbindungen oder einfach aus Spaß Festplatten zerstören. Rund-um-die-Uhr-Mobbing ist auf einfache Weise möglich und zum trendigen Zeitvertreib geworden. Mit der Medien- und Onlineabhängigkeit ist ein neues Suchtverhalten entstanden. Zuviel Digital macht auf Dauer einsam, unglücklich, ja, dement. Die Betreiber der Netzwerke agieren nicht uneigennützig, sondern aus knallhartem wirtschaftlichem Interesse heraus. Nutzer sind nicht Freunde, nicht mal Kunden, sondern Produkte.

Es ist klar, dass das nur die eine, sehr extreme Seite der Medaille ist. Auf der anderen Seite gibt es einen einzigen hinreichenden Grund, die sozialen Medien zu beachten: die Menschen. Hinter den Text- und Bildnachrichten, die hier ausgetauscht werden, stehen reale Personen mit denselben Interessenlagen, Überzeugungen, Wünschen, Hoffnungen, Krisen und Glaubenshaltungen wie im „echten Leben“. Der Austausch über Glaubensthemen, die Meinungsbildung zu Kirche und Religion, auch die Suche nach Rat und Unterstützung finden mittlerweile auch und gerade online statt.

Es lässt sich aber fragen, ob sich die Sozialen Medien eignen, um das Evangelium „zu transportieren“. Ist in ihnen so etwas wie „Verkündigung“ überhaupt möglich – eine Weise der Kommunikation, die traditionell nur in eine Richtung verläuft, von Wenigen zu Vielen, während für Facebook & Co. der ungeordnete, kaum kontrollierbare Austausch von Vielen zu Vielen paradigmatisch ist?

Ich gehe von der These aus, dass in den großen Sozialen Netzwerken im Internet digitale Abbilder der analogen Gesellschaft entstehen. Sie sind von dieser nicht unabhängig, sondern mit ihr eng verschränkt und verwoben – weil es dieselben Menschen sind, welche diese beiden Ebenen ihrer Welt gestalten. Sie sind zugleich keine exakte Kopie, sondern weisen spezifische Strukturen, Formen und Situationen auf – weil sie Möglichkeiten der Gestaltung – und auch des Weglassens! – eröffnen, die auf der analogen Weltebene nicht zur Verfügung stehen.

Je mehr nun die digitale und die analoge Ebene sich ineinander verschränken, je selbstverständlicher sich Menschen mit alltagsbegleitenden sozialen Medien verbinden, umso mehr wird deutlich werden, dass es sich um ein und dieselbe Welt handelt. Und umso mehr wird deutlich werden, dass es keine neue, eigene Weise der „Verkündigung für die sozialen Medien“ braucht – sondern immer wieder eine neue Weise zeitgenössischer Verkündigung überhaupt.

Zum Zweck der Verkündigung hat sich der christliche Glaube schon immer die zur jeweiligen Zeit und in der jeweiligen Kultur zur Verfügung stehenden Medien in Dienst genommen. Wo Christen ein Medium nutzen, da wird das Medium christlich. Das war bei Paulusbriefen und Evangelienkodizes so; das war mit der Verbreitung von Schriftgut nach der Erfindung des Buchdrucks so; das zeigte und zeigt sich mit Andachten in Zeitungen, mit der Entstehung der Telefonseelsorge, mit Gottesdienstübertragungen in Rundfunk und Fernsehen, gar eigenen christlichen TV-Sendern. Und nehmen wir den Begriff des Mediums einmal soziologisch: Das soziale Medium „Geld“ war und ist für die kirchliche Arbeit von großer Bedeutung. Zugleich wird daran die Zwiespältigkeit aller Mediennutzung deutlich.

„Social Media“ ist ein Sammelbegriff. Er bezeichnet ein hybrides Etwas, das Eigenschaften und Fähigkeiten aller vorangenannten Medien in sich vereinigt. Das macht das Feld komplexer und die Aufgabe schwieriger. Je schneller sich in der Vergangenheit ein Medienwandel vollzogen hat, je komplexer die entstehenden Medien wurden, und je breiter zugänglich die Produktionsmittel dafür waren, desto schwerer ist es Theologie und Kirche gefallen, sich darauf einzustellen und neue Homiletiken darauf anzuwenden. Grundsätzlich gilt aber: Warum sollten sich ausgerechnet die Sozialen Medien, welche die Schwelle zu Rückfragen und Antworten so niedrig legen wie kein anderes, nicht zur Kommunikation des Evangeliums eignen? Dass die christliche Botschaft in Konkurrenz tritt zu einer unterhaltenden, kritischen, säkularen, konsumorientierten Umgebung, ist jedenfalls nichts Neues.

Wenn die These stimmt, dass sich online abbildet, was Menschen offline bewegt, und wenn dies auch für das soziale System Religion gilt, dann sind im Netz auch letztlich dieselben drei Ausdrucksformen von Religion zu beachten – und auszufüllen, wo sie noch unzureichend ausgefüllt sind:

Erstens müssen Sprach-, Bild-, Ton-Ereignisse entstehen, die transparent für Gottes Wirklichkeit sind. Es ist dies die Ausdrucksform des Mythos, der vom eigentlichen Grund von Welt und Leben erzählt. Eine zeitgemäße Umsetzung wird dabei – bewusst oder unbewusst – auch im Netz die Erkenntnisse der so genannten „ästhetischen Wende“ in der Homiletik aufgreifen.

Zweitens muss christliche Gebets- und Gottesdienstgemeinschaft online erfahrbar sein. Es ist dies die Ausdrucksform des Ritus, der Alltägliches, Gewöhnliches unterbricht, um Gottes Wirklichkeit darzustellen. Mit Twittergottesdiensten und Online-Andachten sind hier bereits anregende Erfahrungen gemacht worden. Ob die Sakramente eine Grenze der digitalen Parallele darstellen, ist noch nicht ausdiskutiert.

Drittens schließlich ist auch in den sozialen Netzwerken bewusstes christliches Verhalten gefragt: auch virtuell wort- und tatkräftige Nächstenliebe zu üben. Es ist dies die Ausdrucksform des Ethos, das sich in der Beziehung zu Gottes Wirklichkeit gründet. Kirchliche Social-Media-Guidelines müssten sich deshalb eigentlich spezifisch unterscheiden von den Guidelines beliebiger Wirtschaftsunternehmen.

Alle drei Ausdrucksformen werden geprägt sein vom neuen Paradigma „2.0“: keine One-Man- oder One-Woman-Shows, sondern ein offenes, partizipatives Miteinander aller, die on- wie offline ihren Glauben leben und zeigen wollen.

Die digitale Gesellschaft und das Evangelium: Das Lesebuch zur EKD-Synode

LesebuchEin kurzer Hinweis auf einen langen Text:
Die EKD-Synode im November beschäftigt sich mit dem Schwerpunktthema „Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft“. Dazu ist jetzt ein umfangreiches Lesebuch erschienen, das auch online gelesen und kostenlos heruntergeladen werden kann.

Unsere Pfälzer Aktivitäten sind darin durchaus prominent vertreten:

Viel Spaß beim Schmökern!

Mit Niebuhr und Social Media die Kultur transformieren

Am ersten Vormittag von „Netzkirche 2014“ gab es zunächst eine allgemeine Einführung in das Thema Blogs und Bloggen anhand eines Teils einer Präsentation, die ich in diesem Blog schon früher verlinkt und für diese Fortbildung noch einmal leicht aktualisiert habe. Die Prezi bietet eine Übersicht über die kirchliche/christliche Blogszene sowie Argumente, die sowohl aus technischer wie aus inhaltlicher Sicht für das Bloggen (allgemein und gegenüber den Sozialen Netzwerken) sprechen.

ralpeDanach referierte Ralf Peter Reimann (@ralpe auf Twitter) über „Richard Niebuhr als ‚Koordinatensystem‘ für die christliche Verkündigung im Netz. Ralf Peter bezog sich dabei auf Niebuhrs Schrift „Christ and Culture“, die mehrere Möglichkeiten des Verhältnisses des Christentums zur umgebenden Kultur aufreißt:

  • Christ Against Culture (Mönchtum)
  • The Christ of Culture
  • Christ Above Culture
  • Christ and Culture in Paradox
  • Christ the Transformer of Culture

Ralf Peter hat diesen Ansatz bereits 2003 in einem Aufsatz mit dem Titel „Die Cyber Church zwischen Tradition und Postmoderne“ aufgenommen, um das kirchliche Engagement im Internet einzuschätzen.

Ein Auszug aus seinem Fazit:

Für eine Kirche, die sich im realen Leben als Volkskirche versteht, ist es daher unangebracht, mit ihren Internetaktivitäten dem Paradigma „Christ against Culture“ zu folgen, da die Gemeinden vor Ort sich auch nicht als Gegenwelt zur sie umgebenden Gesellschaft verstehen. Der Ansatz „Christ of Culture“ ist kulturgeschichtlich dem Kulturprotestantismus zuzurechen, die Übertragung auf das Internet erweist sich insofern als problematisch, als dass die „bottom-up“-Kultur des Internet sich nur schlecht mit einem traditionellen Kulturbegriff vereinbaren lässt. […]

Die drei anderen Typologien zeigen Möglichkeiten auf, wie kirchliche Online-Kommunikation sich erfolgreich entwickeln kann. Wenn auch nach Niebuhr für die verschiedenen Typologien andere theologische Kronzeugen herhalten, so überwiegt doch in diesen Ansätzen das Gemeinsame, so dass auch Niebuhr sie zusammen verhandelt hat. Der Focus der drei Paradigmen „Christ above Culture“, „Christ and Culture in Paradox“ und „Christ the Transformer of Culture“ ist im Detail verschieden, jedoch lassen sich auf ihnen basierende Kommunikationsstrategien komplementär realisieren, sie schließen sich auf einer pragmatischen Ebene nicht aus, sondern ergänzen sich. Wenn Kirche auf dem Marktplatz Internet bestehen will, muss sie sich jedoch auf seine Kultur und Spielregeln einlassen, denn die Zeit ist reif für Partnerschaften und Kooperationen mit nicht-kirchlichen Partnern. Niebuhrs Paradigmen können dafür Leitfaden sein.

Bloggt, ihr „einfachen“ Christen!

Kürzlich versuchte ich, Vikarinnen und Vikare unserer Landeskirche fürs Bloggen zu begeistern. Theoretisches Unterfutter liefert nun passenderweise der Artikel „Bloggen über den Glauben?“ von Antje Schrupp im Deutschen Pfarrerblatt 7/2013, S. 414-417 – neben dem Beitrag von Christina Costanza noch ein weiterer zum Themenfeld „Kirche und soziale Netzwerke“ in derselben Ausgabe!

Antje Schrupp geht von ihren eigenen Erfahrungen als Bloggerin aus: Angesichts der starken Präsenz kirchenkritischer Stimmen im Netz sah und sieht sie sich selbst oft herausgefordert, christliche Positionen zu erklären, Richtigstellungen vorzunehmen oder Hintergründe zu erläutern (S. 414). Den Paradigmenwechsel im Kommunikationsverhalten durch die sozialen Medien beschreibt sie folgendermaßen:

  • Mit dem Internet ist unbegrenzter Raum für Publikationen vorhanden. (414)
  • Nicht nur „Gatekeeper“-Medien können publizieren, sondern jeder und jede (414), „die Trennung zwischen ‚Produzent‘ und ‚Konsument‘ ist aufgehoben“ (415).
  • Das bedingt zugleich einen „Kontrollverlust“: „nicht mehr die Sender und Senderinnen von Informationen entscheiden, was relevant ist und was nicht, sondern die Empfängerinnen und Empfänger“ (414).
  • Diese verwenden verschiedene Filter (Suchbegriffe, thematische Newsletter- oder Feed-Abonnements), um sich die für sie relevanten Informationen passgenau auszuwählen. Sie haben die „Filtersouveränität“ inne. Darum „werden Inhalte im Internet nur relevant, wenn User sie aktiv aufsuchen“ (415).
  • „Interaktive Massenkommunikation“ ist möglich. Gespräche und Debatten im Internet finden öffentlich statt. (415)
  • „Bevorzugt wird der persönliche Austausch“, es gibt in den sozialen Netzwerken eine „Dynamik (…) weg von Inhalten hin zu Personen“ (416) – man verbindet sich auf Twitter und Facebook mit Menschen, nicht mit Themen. Institutionen haben deshalb „einen schweren Stand“ (ebd.).

Für die kirchliche Kommunikation im Netz zieht Antje Schrupp auch auf Basis ihrer eigenen Erfahrungen als Bloggerin folgende Konsequenzen:

  • Die herkömmliche Aufteilung in mit der öffentlichen Verkündigung Beauftragte (Pfarrerinnen und Pfarrer) und „einfache“, schweigende Kirchenmitglieder („Laien“) ist unter den Kommunikationsbedingungen des Internets „kaum aufrecht zu erhalten“ (416)
  • Für die klassische kirchliche PR ist es „schwieriger, Informationen zurückzuhalten“ und „schwieriger, Aufmerksamkeit für eine Information zu bekommen“ (415). „Was knapp und wertvoll ist, ist nicht mehr die Information als solche, sondern die Aufmerksamkeit“ (ebd.).
  • Manche Gemeinden und kirchlichen Einrichtungen haben sogar noch Nachholbedarf im Web 1.0, nämlich, was die Existenz oder die Inhalte einer Homepage angeht. (415)
  • Weil „kaum jemand, der nicht stark kirchenverbunden ist, einen dezidiert theologischen oder gemeindebezogenen Blog abonnieren“ wird, sollten Christinnen und Christen ihre Positionen als Kommentare auch auf Blogs und Seiten anderer einbringen, eben „zu den Menschen gehen“, auch im Netz (415). Das eigene Blog wird dadurch gerade nicht obsolet, sondern bietet die Möglichkeit, auf weitere gute Inhalte und Hintergrundwissen zu verlinken (vgl. ebd.).
  • Diese kleinteilige Kommunikationsaufgabe auf personaler Ebene kann nicht ausschließlich von „Professionellen“ bewältigt werden. Kirchlich Engagierte aus allen Bereichen sollten „selbst mit ihrer jeweiligen Kompetenz im Netz präsent und ansprechbar“ sein (416).
  • Schließlich weist Schrupp noch auf den Zeitfaktor hin – es dauert lange, auch im Netz, bis Vertrauen und Beziehungen gewachsen sind – sowie auf die Bedeutung von Authentizität und Wahrhaftigkeit. (416f.)
  • Die Aufgabe der Kirche als Institution läge dann vor allem in der Begleitung und Förderung etwa über Fortbildungsmaßnahmen. (417)

Drei Anfragen bzw. Anmerkungen habe ich meinerseits zu Antje Schrupps Ausführungen:

  • Ist der Beobachtung der „Umkehrung von Autorität“, nämlich dass die Äußerungen von „Kirchenoffiziellen“ wie Pfarrerinnen und Pfarrern im Internet leicht unter „Propaganda-Verdacht“ geraten (416), nicht auch der andere Pol gegenüber zu stellen: dass ihnen andererseits auch großes Vorschuss-Vertrauen entgegengebracht wird, wie sie es auch „offline“ erfahren? Und ist das nicht sogar ein Spezifikum, das ihnen doch noch einmal eine etwas herausgehobenere Rolle im Netz „beschert“? In unserem Artikel „Jenseits der Parochie“ (Deutsches Pfarrerblatt 2/2013) haben wir dementsprechend die These aufgestellt, „dass die wichtigsten Akteurinnen und Akteure der Kirchen in Social Media die Gemeindepfarrerinnen und -pfarrer sind“.
  • Dass man sich auf Twitter und Facebook mit Menschen, nicht mit Themen, verbinde, erscheint mir in dieser Formulierung zu ausschließlich. Es werden doch auch Unternehmens-, Politiker-, Film-, Musik-, Bibel-, andere Themen-Seiten auf Facebook sowie thematisch ausgerichtete Twitter-Listen in großer Zahl abonniert und deren Inhalte verfolgt. Die beste Chance für eine Institution wie die Kirche liegt zugegebenermaßen wohl nicht in der Facebook-Seite für die Institution, womöglich aber durchaus in gut gemachten Themenseiten.
  • Schließlich finde ich es reizvoll, die Beiträge von Christina Costanza und Antje Schrupp in Bezug auf das Thema „Kontrolle/Kontrollverlust“ miteinander ins Gespräch zu bringen. Schrupp zufolge ist der Kontrollverlust ein inhärentes Merkmal der Kommunikation in Social Media. Costanza zufolge ist das Gefühl der Kontrolle aber eine Bedingung für die Möglichkeit des „Flow“-Erlebens und damit für einen Glückszustand. Ist im Netz also doch kein Glück zu finden?

Antje Schrupp auf Twitter: @AntjeSchrupp
Antje Schrupps Blog: antjeschrupp.com

Die Kirche als „Anders-Ort“ – für Slow Media?

Die Erfahrung des „Information Overload“ und dass die Zeit wie im Flug vergeht, macht wohl jeder einmal (oder ständig), der sich ins Social Web begibt. Im aktuellen „Deutschen Pfarrerblatt 7/2013, S. 386-391, setzt sich Christina Costanza unter der Überschrift „Beschleunigung oder Slow Media?“ mit der veränderten Zeitwahrnehmung und -gestaltung im und durch das Social Web auseinander. Dies zu reflektieren, sei für Kirche und Theologie bedeutsam, denn „die Art und Weise, wie Menschen Medien benutzen, steht in Korrelation mit dem Selbstbild von Menschen und hierüber mit der Anthropologie“ (S. 387). Costanza geht dabei aus von der These Marshall McLuhans, der „Medien generell als Erweiterungen des menschlichen Körpers [betrachtet], deren Gebrauch zurückwirkt auf die Selbstwahrnehmung der Mediennutzerin“ (ebd.) Internetkritisch greife dies der Medientheoretiker Nicholas Carr auf, wenn er „seine neurophysiologisch gestützte Grundthese, dass der Gebrauch von Medien das Gehirn des Nutzers verändert“, entfalte. Damit verändere sich auch, „wie wir Zeit wahrnehmen und fortan unsere Zeit gestalten“ (ebd). 

Costanza macht den Begriff der „Beschleunigung“ als Hauptmerkmal des Zeiterlebens im Social Web aus. Er prägt sich für sie vor allem in drei Erfahrungen aus: „Multi-Tasking“, „Flow“ und „life mix“. Alle drei Zeiterfahrungen erweisen sich als ambivalente Phänomene, zeitigen also positive und negative Aspekte. Sie schildert dann die Anliegen und Initiativen der „Slow Media-Bewegung“, welche versuche, „die Beschleunigung im Social Web aufzuhalten zugunsten einer Intensivierung der positiven Momente des Vernetztseins“ (S. 388). Dabei macht sie durchaus auch dezidiert religiöse Hintergründe und Begrifflichkeiten ausfindig („Facebook-Fasten“). Entscheidend ist aber, „dass es sich beim Slow Media Movement um eine Bewegung innerhalb des Social Web handelt – d.h. dass sich die Slow Media-Ideen sowohl auf die Mediennutzung als auch auf die Medienproduktion beziehen“ (S. 389).

Als Konsequenz wirft Costanza gegen Ende ihres Beitrags mehrere Fragen bzw. Herausforderungen für Kirche und Theologie auf: Ist es eine „Chance für die Kirche, sich (…) als Anders-Ort für Social-Media-Fastende zu etablieren“? Wie verhielten sich solche „Entschleunigungs-Angebote“ zu eigenen kirchlichen Social-Media-Aktivitäten? Noch grundsätzlicher geht es darum, „ob kirchliche Kommunikation eher kontrakulturell oder eher intrakulturell ausgerichtet werden soll und kann“ (S. 390). Costanza sieht letztlich eine Erfordernis für beides: „Wenn eine Kirchengemeinde (…) Unterbrechungsangebote machen möchte, (…), ist dies im Social Web selber zu kommunizieren.“ (ebd.) Zu bearbeitende Themen für die Dogmatik seien darüber hinaus – neben „Beschleunigung und Entschleunigung“ – das „Verhältnis von Zeit und Raum, die Gestalten von Erinnerung und alte und neue Bilder vom ‚Ewigen Leben'“ (ebd.).

Christina Costanza auf Twitter: @ChrCostanza
Von Christina Costanza mit herausgegeben: „Personen im Web 2.0